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Gründungsmythen der Piratenpartei

Die Piratenpartei muss sich professionalisieren. Das steht außer Frage. Dazu zählt meiner Ansicht nach auch, dass man diverse Gründungsmythen endlich mal klarstellen sollte:

  1. „Themen statt Köpfe“, „Inhalte statt Personenkult“: Gilt nur bedingt. In der Vergangenheit konnten wir beobachten, dass einzelnen Piraten gegenüber eine Art Personenkult, vor allem seitens der Medien, aufgebauscht wurde (siehe vor allem Christopher Lauer, Marina Weisband). Dank der schnellen Rotation der Vorstandsposten ist es zwar immer noch genug Abwechslung ohne dass einzelne zu viel in der Öffentlichkeit stehen, dennoch schießen sich Medien gerne mal auf die ein oder andere Person ein.
  2. „Wir haben keine Ideologie“: dazu habe ich ja schon was geschrieben. Ideologie ist ohne Zweifel da, und des hilft nichts, sie zu leugnen. Es darf allerdings nicht zu einer Verbohrtheit und Engstirnigkeit kommen, nur weil man stets „Freiheit“ in den Ohren hört.
  3. „Wir sind ehrlich und sagen, wenn wir zu einem Thema nichts wissen“: Wird auf lange Sicht schwierig werden, wenn wir eine Bundestagsfraktion haben, sogar beinahe unmöglich. Zu groß wird der öffentliche Druck sein, klar Stellung zu beziehen.

Was ich damit sagen möchte: was 2006 und 2009 noch als noble Werte wahrgenommen wurde, ist im Zuge einer Professionalisierung möglicherweise nur noch schwer durchsetzbar. Die Piraten sind eben keine anarchistische Gruppe, und wir können auf Dauer nicht nur die Medien und die anderen Parteien anfeinden. Politik ist nun mal wie sie ist.

Medien…

Nachdem ich neulich den Umgang der Medien mit den Piraten hier kritisiert habe, da dieser bisweilen fast „Shitstorm“-artige Züge hat, hier ein Video passend zu dem Thema:

Was in diesem Video verbreitet wird, ist einfach nur Schwachsinn, passt aber zu der Art und Weise, mit der sich auch viele Printmedien geierartig auf „Skandale“ in der Piratenpartei stürzen, die dann dramatisch aufgebauscht werden. Schade, denn gerade von ZDFkultur hätte ich das nicht erwartet.

Ziele und Vorstellungen der Piraten – Teil 2

In diesem zweiten Teil der Reihe „Ziele und Vorstellungen der Piraten“ möchte ich genauer auf das Parteiprogramm eingehen, auf politische Inhalte, von denen ach so gern behauptet wird, die Piraten hätten keine. Eine kurz zusammengefasste Übersicht der Ziele findet sich hier, das Parteiprogramm kann man sich hier herunterladen.

Die Piraten bekennen sich zur Digitalen Revolution, die das Leben vieler Menschen verändert hat, verändert und verändern werden wird. Der Durchbruch des Internets stellt eine Zäsur dar, einen Umsturz, der vielleicht mit der Erfindung des Buchdrucks vergleichbar ist. Auf die Punkte der Umstrukturierungen des politischen Entscheidungsfindungsprozesses bin ich im Rahmen dieses Blogs schon ausführlich eingegangen (dieser Teil ist im Parteiprogramm unter der Überschrift „Mehr Demokratie wagen“ zu finden“), im nun Folgenden werde ich auf sachpolitische Aspekte eingehen.

Ein „orginärer“ Inhalt der Piraten ist sicherlich das Urheberrecht und dessen angestrebte Reform. Leider besteht bei diesem Punkt meiner Meinung nach das größte Verständigungsproblem im Parteiprogramm. Es ist wohl in der Vergangenheit nicht gut genug kommuniziert worden, jedenfalls hält sich bis heute in der öffentlichen Meinung konsequent die Auffassung, die Piraten wollten, dass man sich alles kostenlos aus dem Netz downloaden kann, und die Piraten seien somit ein Völkchen von Raubkopieren und Gegnern des Schutzes geistigen Eigentums.

Haben Sie es gemerkt? Im letzten Satz gab es zwei Worte, die seltsam erscheinen, wenn man genauer über sie nachdenkt: „Raubkopierer“ und „geistiges Eigentum“. „Raubkopierer“ ist zunächst einmal ein Wort, das von der Medienindustrie geschaffen worden ist. Und genau aus diesem Grunde ist es nicht richtig. Wenn ich im Supermarkt einen Apfel mitnehme, ohne ihn zu bezahlen, ist das Diebstahl, denn der Apfel ist ja weg. Kopiere oder teile ich aber eine Datei, dann ist die originale Datei noch vorhanden. Rauben und Kopieren sind somit eigentlich zwei beinahe gegensätzliche Begriffe. Doch dass ist aufgrund vieler Propagandakampagnen der Verwerterindustrie leider in der Öffentlichkeit nicht angekommen. Womit wir beim zweiten Begriff wären: „geistiges Eigentum“ (auch: „Intellectual property“). Das ist Nonsens. Zunächst einmal suggeriert der Begriff, es gäbe so etwas wie ein Gedankenmonopol, andererseits werden im allgemeinen Sprachgebrauch dabei verschiedene Gesetze in einen Topf geworfen, üblicherweise z.B. Urheberrecht, Patentrecht, Titelschutz und Markenschutz. Das alles sind aber unterschiedliche Dinge, die auch rechtlich differenziert behandelt werden müssen.

Die Piratenpartei fordert die Abschaffung von Kopierschutzmaßnahmen und die Stärkung des Rechtes auf Privatkopien. Außerdem sollen Nutzer von Torrentbörsen nicht unnötig kriminalisiert werden, zudem nicht empirisch bewiesen ist, dass die Medienindustrie dadurch Verluste erleidet (sowohl der Musik- als auch der Film- und Videospielmarkt wächst seit Jahren konstant). Würde es so sein, sähen wir kaum Jahr um Jahr immer aufwendiger produzierte Videospiele und Filme; hierbei handelt es sich ganz eindeutig um Propaganda und Lobbyismus seits der Unterhaltungsindustrie.

Die Piratenpartei hat auch noch weitere Urheberrechtspositionen, beispielsweise die Abschaffung eines urheberrechtlichen Schutzes von Bauwerken. Diese Pressemitteilung führt alle Aspekte sehr detailliert aus – Leseempfehlung!: Vorstellung der Urheberrechtspositionen der Piratenpartei und Aufklärung von Mythen

Nachtrag zu Liquid Feedback

Nachdem ich gestern über Liquid Feedback geschrieben habe, hier noch ein sehr gutes Video zu diesem Thema aus der Reihe ZDF 140 Sekunden, das die Thematik sehr deutlich erklärt:

Diese ZDF-Reihe finde ich ohnehin sehr spannend, da hier in 140 Sekunden die Geschichte hinter einem Tweet erzählt wird. In dieser Folge geht es um Enno Park, der Folgendes twitterte: „Liquid-Feedback ohne Klarnamen-Akkreditierung ist in etwa so aussagekräftig wie das Heise-Forum“

Über die Aussagekraft des Politischen Kompasses

Mein politischer Kompass. Die x-Achse markiert die wirtschaftliche Einstellung (links/rechts),
die y-Achse die soziale (autoritär/libertär).

Wenn man sich die Benutzerseiten des Piraten-Wikis anschaut, findet man dort bei vielen Mitgliedern den sogenannten Politischen Kompass. Vielen dürfte mittlerweile geläufig sein, dass sich die Piraten nicht in das altbewährte Rechts-Links-Schema einordnen lassen (wollen). Das ist auch einer der Gründe dafür, dass in den Medien immer wieder behauptet wird, die Piraten hätten keine klaren Positionen und seien ein Haufen wild zusammengewürfelter Protestler. Noch dem ist nicht so.

Der Politische Kompass, ist eine Möglichkeit, die politische Einstellung von Einzelpersonen oder Parteien etwas differenzierter zu betrachten. Dafür wird die Meinung zu 62 Aussagen, die nur teilweise offensichtlich politischer Natur sind, abgefragt. Die Auswertung davon wird anschließend auf ein zweidimensionales Koordinatensystem projiziert. Radikal gesehen ist ganz oben Faschismus, ganz unten Anarchismus, ganz links Kommunismus, und ganz rechts Neoliberalismus. Im Bild links sind die deutschen Parteien NPD, CDU, SPD, FDP, Linke und Grüne dargestellt. Von den wichtigen Staatsmännern, deren auf der Seite des Polischen Kompasses beleuchtet wurden, ist die Piratenmeinung übrigens am ehesten mit der Gandhis zu vergleichen.

Für mich ist der politische Kompass ein sehr aussagekräftiges Mittel, die eigene politische Position darzustellen. Und siehe da: auch die meisten Piraten haben irgendwie eine gemeinsame Position. Zwar gibt es einige Ausreißer nach oben und rechts, doch der Mittelwert von allen Wiki-Piraten liegt bei -5.62, -4.73 (zum Vergleich: mein politischer Kompass liegt bei -4.12, -6.15). Die kleinen Kästchen in der Grafik rechts zeigen, wo 80 bzw. 90 Prozent der Piratenmeinungen zu verorten sind. Es gibt also doch eine gemeinsame Parteimeinung.

Testen Sie sich selbst! (eine deutsche Übersetzung der Fragen finden Sie hier)

Blockupy Frankfurt

Symbolbild: „Blockupy“-Protestanten vor der Frankfurter Paulskirche, dem Tagungsort des ersten frei gewählten Parlaments auf deutschem Boden.
(Foto: Ad Hoc News)

Schon seit zwei Tagen finden in Frankfurt, der Finanzhauptstadt Deutschlands, die sogenannten „Blockupy“-Proteste statt. Es handelt sich dabei – wie der Name schon vermuten lässt – um einen Nachfolger der Occupy-Protestbewegung, die im Juni 2011 ihren Anfang hatte. Dabei ging es anfangs – anders als teilweise in den Medien dargestellt – weniger um Kapitalismuskritik, als um das Anprangern sozialer Ungleichheiten, des Einflusses der Wirtschaft auf die Politik und hochspekulativer Bankgeschäfte, die die Weltwirtschaft in eine Krise geführt haben.

Bemerkenswert waren natürlich die Demonstrationen an der New Yorker Wall Street im letzten Jahr (das Foto links stammt vom 30. November 2011), die unter dem Eindruck des so genannten Arabischen Frühlings, der friedlichen Revolution und vor allem der Demonstrationen auf dem Tahrir-Platz in Ägypten, stattfanden. Das Interessante war schon dabei, dass diese Demonstrationen – im Gegensatz zu den 80er-Jahre-Anti-Atomkraft-Demos – nur Hippies oder zumindest junge Leute frequentierten, nein, es handelte sich um Menschen aus allen Lebenssituationen und Herkünften, die hier gemeinsam die großen Konzerne kritisierten. Bei den Demonstrationen in Deutschland kamen bis zu 10.000 Menschen, in den USA beteiligten sich bis zu 15.000 Personen. Dass diese Protestaktionen als ziviler Ungehorsam bezeichnet worden sind, ärgert mich, ebenso, dass nach und nach Prominente und politische Parteien (z.B. die Grünen) auf den Zug aufgesprugnen sind. Bei der Occupy-Bewegung handelt es sich um eine kritische Bewegung, die aus dem Internet entstanden ist, und so verwundert es wenig, dass sich die Piraten vielen Positionen der Occupy-Demonstranten nahe fühlen.

Doch zurück zum jetzt gerade in Deutschland stattfindenden Blockupy. Wie bei so vielen Großdemonstrationen zuvor wurde ein Zeltlager aufgelöst. Die Versammlungsfreiheit wurde ignoriert.

Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln.

So steht es im Grundgesetz. Und wenn man sich die Polizeiaktionen anschaut, kommen unfreiweillig wieder Bilder der Stuttgart-21-Proteste hoch. Ich sehe das Ganze sehr kritisch, aber immerhin dürfen die Piraten Hessen das Geschehen jetzt beobachten. Mal schauen, was jetzt noch so kommt.

Liquid Democracy – Was hat es damit auf sich?

Benutzeroberfläche von Liquid Feedback

Die Willensbildung in der Piratenpartei ist öffentlich und jeder kann mitentscheiden, das ist mittlerweile auch in weiten Teilen der Öffentlichkeit angekommen. Doch was hat es mit der ominösen Internetplattform Liquid Feedback zu tun, das die Piratenpartei ja so ausgiebig zu nutzen scheint? Kann wirklich jeder mitmachen?

Zunächst einmal ist klarzustellen, dass Liquid Feedback nur die Softwarelösung ist, die die Piraten für diese innerparteilichen Prozesse nutzen. Am Ende soll so etwas wie ein Vollprogramm stehen. Das Prinzip hinter dieser Software nennt sich „Liquid Democracy“. Das wiederum ist ein basisdemokratisches Prinzip, da jeder mitmachen kann; genauer gesagt ist es eine Mischung aus direkter Demokratie und repräsentativer Demokratie. Das bedeutet, ich kann als Piratenmitglied über alle Anregungen abstimmen, wobei es verschiedene mögliche Positionen gibt (s.o.): darf nicht, soll nicht, neutral, soll, muss. Fühle ich mich aber nicht in der Lage, ein Thema fachgerecht zu beurteilen, so kann ich meine Stimme an einen Experten, dem ich vertraue, abgeben, der nun mit 2 Stimmen abstimmt. Gefällt mir sein Votum nicht, kann ich mir meine Stimme aber auch wieder zurückholen.

Der Knackpunkt ist: bei der Piratenpartei gibt es kein Delegiertensystem. Und das ist genau richtig. In anderen Parteien wählen die Mitglieder Delegierte, die für sie abstimmen. Dabei kann allerdings nicht jede Einzelmeinung nach oben durchdringen und, wie Christopher Lauer in seinem Blog bereits erwähnte, je höher die Hierarchieebene, desto weniger müssen die Politiker die Basis fürchten und können ihr eigenes Ding drehen. In den hohen Positionen der großen Parteien sitzen daher zumeist Leute, denen die Meinung der Basis mehr oder minder egal ist.

Liquid Feedback gibt auch die Möglichkeit, anonym abzustimmen. Eingaben und Anregungen können von jedermann gemacht werden, die Parteimitglieder stimmen dann darüber ab. Das gewährleistet ein umfassendes Meinungsbild aller Piraten. Doch leider beteiligen sich bei weitem nicht alle. Trotzdem ist für mich Liquid Feedback das Entscheidungsgremium der Zukunft, nachvollziehbar und transparent, hier wird von allen entschieden, nicht in irgendwelchen Ausschüssen oder anderen Parteigremien.

Ziele und Vorstellungen der Piraten – Teil 1

Was wollen die Piraten eigentlich? Vielen Menschen sind die Inhalte der Piratenpartei immer noch nicht bewusst. Einige können sich sogar nicht von der Vorstellung lösen, die Piraten seien inhaltsleer und kommen nur „frisch“ rüber. In Wahrheit ist die Piratenpartei aber viel mehr als das. Um zu verstehen, welche Mentalität dahinter steckt, muss man sich die Anfänge der Piraten anschauen.

 

 

Wie die meisten mittlerweile wissen, stammt die Piratenbewegung ursprünglich aus Schweden. Wichtig ist, dass es anfänglich eine Bewegung war, keine Partei. Dahinter steckt also mehr ein Aktivistentum als politische Betätigung. Bereits 2003 gründete sich in Schweden das Piratbyrån (=Piratenbüro) zum Kampf gegen Lobbyismus und zur Unterstützung des Tauschens von Daten und Informationen. Mitglieder des Piratbyrån haben auch den BitTorrent-Tracker The Pirate Bay gegründet, einige sind bis heute dort involviert. Die Unterhaltungsindustrie hatte schon vorher den Begriff „Piracy“ geprägt; Menschen, die Inhalte kopierten, für die sie nicht bezahlt hatten, wurden „Piraten“ genannt. Auch heute noch werden Filesharing-User so genannt. Woher diese Bezeichnung als „Piraten“ stammt, ist nicht genau geklärt.

Schon in den 80er-Jahren verwendete die Musikindustrie einen stilisierten Totenkopf mit einer Kassette (ja, sowas gab’s damals noch) als Logo für die Kampagne „Home Taping is Killing Music“, die als Aufkleber auf Plattencovern zu finden waren, nachdem immer mehr Menschen mittels Kassettenrekordern eigene Mixtapes erstellten. Der kausale Zusammenhang erschließt sich mir und vielen anderen nicht, und so gab es viele Parodien, unter anderem „Home Cooking is Killing Restaurant Industry“ oder „Home F**king is Killing Prostitution“.

Dass die Piraten immer als die bösen, bösen Verbrecher hingestellt wurden, ärgerte schon damals viele. Und in Zeiten des Internets wurde der Wunsch der Verwerterindustrie, die Zeit anzuhalten, immer größer. Die schwedische Piratenpartei, gegründet am 1. Januar 2006, wollte den Begriff des Piraten positiv umgedeutet in die Öffentlichkeit tragen. Leider steckt das schwedische Piratpartiet-Projekt in der Krise: dort hat man sich nicht breit genug aufgestellt (Netzpolitik war beinahe das einzige Thema), und seit der Europawahl haben die schwedischen Piraten mit einem starken Mitgliederschwund zu kämpfen.

Ganz anders die deutschen Piraten, sie stehen weiterhin mit kontinuierlichem Mitgliederzuwachs gut da, sind bestens organisiert und breit aufgestellt. Kernforderungen sind nach wie vor Transparenz in der Politik, Basisdemokratie und eine Reform des Urheberrechts – aber die programmatischen Aspekte sind heute sehr breit gestreut. Die Piratenpartei Deutschland hat eine ausgearbeitete Sozial-, Drogen- und Umweltpolitik, genauso wie Umstrukturierungen in der Politik durch direkte Demokratie und Informationsfreiheit. Transparenz ist dabei ein immer wiederholtes Stichwort, dessen Wichtigkeit aber unbestreitbar ist.

Schade eigentlich. Und ich dachte schon, Gauck sei jemand, der frei ist von solchem Lobbyismus und Hinterzimmerdenken.
(Foto: picture-alliance/Eventpress Schraps)

Noch wichtiger als all die Programmpunkte ist meiner Meinung nach aber der frische Wind, den die Piraten verströmen. Es ist einfach eine neue Art, Politik zu machen, nachvollziehbar und jedem die Gelegenheit bietend, mit zu entscheiden. Das ist es, was die Menschen in diesem Land wollen. Dazu gehört auch, die langweilige, alte und „verstaubte“ Parteipolitik hinter sich zu lassen. Themenkoalitionen sind gefragt, und Blockdenken ist einfach veraltet. Die Leute sehen, dass alle mächtigen und wichtigen Personen im Endeffekt mit den gleichen Menschen zu tun haben. Das Bild links mit Gauck und Maschmeyer (der ja zuvor in die Wulff-Krise verwickelt war) ist dafür ein guter Beweis. Außerdem setzt sich die Meinung durch, dass es einfach Unsinn ist, wenn ein Politiker innerhalb weniger Jahre mehrfach den Ministerposten wechselt, wie zum Beispiel Karl-Theodor zu Guttenberg vom Wirtschafts- zum Verteidigungsminister und jetzt schließlich EU-Kommissionsberater in Internetfragen; oder Wolfgang Schäuble, der in den vergangenen 30 Jahren schon Kanzleramts-, Innen- und Finanzminister war. Solche Leute können einfach keine Experten auf ihrem Posten sein. Die Menschen wünschen sich aber nichts mehr als Experten, die das Land regieren. So etwas heizt die Politikverdrossenheit an – zumindest die Verdrossenheit über die „alte“ Politik der etablierten Parteien. Die Piraten haben jetzt die Gelegenheit, Geschichte zu schreiben und einen Umbruch durchzusetzen. Bis dahin ist es noch ein weiter Weg, aber es ist möglich.

Darstellung der Piraten in den Medien

Nachdem uns heute die Meldung ereilt hat, dass der Berliner Piraten-Chef Semken zurückgetreten ist, möchte ich mal so Einiges loswerden, was mir im Umgang der Medien mit den Piraten aufgefallen ist: es ist oft nicht angemessen. Dass die (imho berechtigte) Kritik an Hartmut Semken zu dessen Rücktritt führte, war irgendwie auch klar. Dies aber zu einem Skandal aufzubauschen, ja sogar von einer „Krise der Hauptstadtpiraten“ zu sprechen, ist in meinen Augen einfach nur übertrieben.

Dieses Verhalten der Medien mit den Piraten ist einfach nur peinlich und lächerlich. Ich selbst lese als Tageszeitung die Rheinische Post, und gelegentlich schaue ich in den Online-Ausgaben von FAZ und SZ vorbei. Oft fiel mir in der Vergangenheit auf, dass die Piraten sehr einseitig beleuchtet werden. Sie werden auch noch heute oft als die „Computernerds und Kiffer“ (etwas übertrieben ausgedrückt) dargestellt, und das ist einfach unangemessen und fast ein Armutszeugnis für die Medienlandschaft. Selten werden andere Themen der Partei besprochen als solche, die die Netzpolitik angehen.

Im Blog „The Geek Show“ wurde Anfang des Jahres ein Bild gepostet, das diese (bis hierhin völlig subjektive) Erkennung bestätigt. Hierbei wurde bei Google News zu Artikeln zum Thema Piraten gesucht, und die ersten 10 Treffer wurden auf gemeinsame Worte untersucht.

Und schon wird deutlich, wie einseitig das Piraten-Bild in der Medienlandschaft sich darstellt: fast alle Wörter haben mit dem Internet zu tun, „Megaupload“ kam gar häufiger vor als der Parteiname. Zugegebenermaßen fiel die Analyse in die Woche der Megaupload-Schließung. Und dennoch: alle anderen Wörter vermitteln einen ähnlichen Eindruck.

Schade übrigens auch, dass SOPA gegenüber Megaupload so schwach vertreten war.

Nachtrag zu den Landtagswahlen

Nun also der erste echte Blogpost hier auf diesem Blog. Es geht um die Wahlen in Nordrhein-Westfalen am vergangenen Sonntag. Ein recht frisches Thema also noch.

Wahlparty der Piraten
(Quelle: Rheinische Post, Foto: Christoph Goettert)

Ich muss ganz ehrlich sagen: es enttäuscht mich, dass Rot-Grün einfach so weiter regieren kann (kleiner Scherz am Rande: das liegt ja nur daran, dass die Schwarz-Gelben schon tags zuvor das Pokalfinale gewonnen haben). Die Politik, die Rot-Grün in den letzten 2 Jahren veranstaltet hat, konnte mich nicht überzeugen – aber offenbar viele Andere.

Philipp Rösler – der falsche Mann für die FDP-Spitze?
(Quelle: Wikipedia)

Dass die FDP wider anfänglichem Erwarten den Sprung in den Landtag geschafft hat, sehe ich aus zwei Perspektiven: Einerseits gibt es dadurch eine etwas breitere liberale (oder pseudo-liberale) Struktur im Parlament aus Piraten und FDP, andererseits sind die Stimmen, die die Freien Demokraten jetzt abstauben konnten, Vorschusslorbeeren – denn geleistet haben sie ja noch nichts. Dennoch: in den letzten Monaten wirkte die Arbeit der FDP an vielen Stellen recht überzeugend, obwohl ich noch immer der Meinung bin, dass diese Partei den eindeutig falschen Parteivorsitzenden hat. Andererseits sind viele Stimmen, die die FDP jetzt bekommen hat, auch eine Art „Angstreaktion“ von vormaligen CDU-Wählern, die eine bürgerliche Mittelstandspartei weiterhin im Parlament vertreten sehen wollen. Das erklärt auch – wenigstens teilweise – das meiner Meinung nach blamable Ergebnis der CDU: 26,3 Prozent. Wie dem auch sei: das FDP-Ergebnis kann sich sehen lassen, da es in eine Zeit fällt, in der die Bundespartei nicht nur als am Boden liegend, sondern schon fast als klinisch tot bezeichnet werden kann. Es könnte die Renaissance der FDP einleiten (einige Medien sprechen sogar schon von einem „Lindner-Effekt“ und sehen ihn an der Parteispitze).

Norbert Röttgen – inzwischen schon nichtmal mehr Umweltminister im Bund.
(Quelle: Wikipedia)

Jaja, die CDU. Sie hat mit Norbert Röttgen zweifelsohne einen äußerst eloquenten Spitzenkandidaten aufgestellt – Volksnähe jedoch könnte ihm niemand zuschreiben. So etwas braucht es einfach in einem Bundesland wie NRW. Hannelore Kraft konnte sich direkt in die Rolle einer „Landes-Mutti“ hineinversetzen, sie setzte sogar ihren ach so „charmanten“ Ruhrgebiets-Slang ein, wenn sie unter Leuten war. Aber so fährt Röttgen das schlechteste CDU-Ergebnis ever ein, und das kostet ihn jetzt auch noch seinen Bundesminister-Posten. Schade eigentlich, seine Arbeit um den Atomausstieg und in der Umweltpolitik gefiel mir eigentlich recht gut, denn er war in meinen Augen der einzige CDU-Politiker, der es vermochte, in die Zukunft zu schauen, und war vergleichsweise früh pro Atomausstieg eingestellt. Jetzt macht’s wohl Peter Altmaier – ein echter Unsympath, wenn man mich fragt.

Bei mir hat sich Röttgen mit einigen Äußerungen allerdings unbeliebt gemacht, weil’s so schön ist, einen ehrlichen Politiker zu sehen, nochmal hier:

So etwas geht einfach nicht. Und das Beste ist ja, dass der sonst so redegewandte Röttgen es mit Lächeln und Stammeln als „Ironie“ abzutun versucht.

Das Piraten-Ergebnis kann sich durchaus sehen lassen: 7,8 Prozent, eigentlich perfekt, um eine (hoffentlich erfolgreiche) Oppositionsarbeit zu beginnen – ein einziger Wermutstropfen bleibt: die Piraten liegen hinter der FDP. Schade zwar, aber mit immerhin 20 Mandaten kann die Piratenpartei den Landtag aufmischen.

Die Linken? Irgendwie wusste jeder, dass es so kommen würde. Trotzdem glaubten die Linkspartei-Anhänger bis zuletzt, sie könnten noch was reißen. Mittlerweile ist diese Partei so unsympathisch und surreal geworden, dass ich mir beim besten Willen nicht vorstellen könnte, sie zu wählen. Und viele andere offenbar auch nicht. Die Quittung von innerparteilichen Streitigkeiten und Strukturkämpfen ereilt die Linken zu einem sehr ungünstigen Zeitpunkt.