Archiv für den Monat Oktober 2012

Noch ein Brief

Sehr geehrte (Fraktions-) Mitglieder der CDU Berlin,
sehr geehrter Herr Innensenator Henkel,
sehr geehrter Herr Juhnke,

Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst. (Lev 19,18)

Der obenstehende Satz ist zweifellos einer der Grundgedanken des christlichen Wertegefüges. Nächstenliebe bedeutet selbstlose Hilfs- und Verantwortungsbereitschaft und ist neben der Christlichen in vielen weiteren Religionen verbreitet. In der Bergpredigt geht Jesus sogar noch weiter:

Wenn ihr […] nur die liebt, die euch lieben, welchen Lohn könnt ihr dafür erwarten? (Mt 5,46)

Worauf ich hinauswill: Die CDU ist eine Partei, bei der schon im Parteinamen christliche Werte betont werden. Sind nicht gerade Nächstenliebe und Barmherzigkeit zentrale Werte, denen die Partei und ihre Anhänger sich damit verschrieben hat? Diese Werte sind zweifelsohne richtig und erhaltenswert – ich möchte allerdings vehement rügen, wie sie in der praktischen Tagespolitik umgesetzt werden.

Grund dafür sind natürlich die Proteste der Asylbewerber auf dem Pariser Platz in Berlin und das damit verbundene Vorgehen der Polizei. In meinen Augen wurden eben diese urchristlichen Tugenden hier mit Füßen getreten. Jesus warnt die Christen explizit vor Ausgrenzung Fremder und ruft gar zur Feindesliebe auf. Eine Partei, die sich dem verbunden fühlt, kann ein solches Handeln meiner Meinung nach daher nicht dulden.

Weiterhin hat die Berliner Landesverfassung eine eindeutige Haltung zur Versammlungsfreiheit:

Jedermann hat das Recht, innerhalb der Gesetze seine Meinung frei und öffentlich zu äußern, solange er die durch die Verfassung gewährleistete Freiheit nicht bedroht oder verletzt. (Art. 14, Abs. 1)

Die Formulierung „Jedermann“ weist darauf hin, dass es sich um ein Grundrecht handelt, dass also nicht Ausländern verwehrt bleiben darf. Impliziert wird, dass über Art, Zeit und Dauer der Versammlung frei zu entscheiden. Dies ist auch in Einklang mit Art 8, Abs. 2 GG.

Am 12.04.2012 stellte der Bayerische Verwaltungsgerichtshof klar, dass auch dauerhaftes Campieren unter verfassungsrechtlichem Schutz steht, wenn Symbolcharakter hat (Az. 10 CS 12.767). Diesen Symbolcharakter sehe ich im vorliegenden Fall einwandfrei vorhanden. Die Flüchtlinge würden schließlich nicht nachts und bei Kälte, teilweise im Hungerstreik, ausharren, wenn sie nicht ein Zeichen setzen sollten. Die Presseerklärung der CDU-Fraktion vom 31.10.2012 halte ich daher für komplett realitätsfern. Eine genauere Beschreibung des Symbolgehalts beschrieb richtigerweise Wolfgang Nešković, MdB für die Linkspartei, am 30.10.

Ich fordere sie auf, insbesondere Herrn Innensenator Henkel, aber auch die CDU Berlin im Allgemeinen, sich tatsächlich an christlichen Werten zu orientieren, die Demonstranten menschenwürdig zu behandeln und die Bereitschaft zum Dialog zu zeigen. Außerdem sollte das Gesetz geachtet werden, dass diese Demonstration unter verfassungsrechtlichen Schutz stellt.

Mit freundlichen Grüßen und der Bitte um Antwort,

+name

Sehr geehrter Herr Dr. Hanke

E-Mail: christian.hanke@ba-mitte.verwalt-berlin.de

Sehr geehrter Herr Dr. Hanke,

wie den Medien zu entnehmen ist, wurden den hungerstreikenden Asylbewerbern am Pariser Platz am heutigen Tag die Decken von der Polizei weggenommen. Sie – als Bezirksbürgermeister – sind der politische Verantwortliche für diesen Vorfall. Außerdem sind Sie Mitglied bei Amnesty International. Für mich ein bitterer Widerspruch.

Die Proteste am Pariser Platz verlaufen seit Tagen komplett gewaltlos. Bei den Protestierenden handelt es sich um Menschen, die auf der Suche nach einem besseren Leben in unser Land gekommen sind. Erst am 27. Juni hat die Bundestagsfraktion Ihrer Partei bessere Bedingungen für
Asylbewerberinnen und Asylbewerber gefordert. Den Anspruch, auch diesen Menschen ein menschenwürdiges Dasein zu ermöglichen, haben Sie mit diesem Polizeieinsatz einfach nur mit Füßen getreten.

Ihrem Lebenslauf entnehme ich, dass Sie im Fach Philosophie promoviert haben. Haben Sie sich Gedanken gemacht, ob nicht eben dieser Polizeieinsatz und aktiv praktizierte Exklusion dieser Menschen vom politischen Diskurs kontraproduktiv, womöglich sogar moralisch verwerflich sein könnte? Es handelt sich um die Ärmsten der Armen, die dort in klirrender Kälte ausharren. Auch diese Menschen haben Rechte, für die Sie sich persönlich mit Ihrer Mitgliedschaft bei Amnesty International engagieren.

Ich möchte Sie hiermit bitten, einmal innezuhalten und nachzudenken, ob nicht ein menschenwürdiger Umgang mit den Hungerstreikenden möglich wäre. Ob nicht ein offenes Ohr statt eine verschlossene Tür das bessere Signal an die Asylbewerber wäre. Ob nicht alternatives
Handeln möglich wäre.

Die Werte, für die Sie – persönlich, aber auch mit Ihrer Partei – stehen, werden momentan eklatant verletzt. Meine Solidarität gilt den dort ausharrenden Asylbewerbern, und auch Sie sollten ihnen friedlichen, menschenwürdigen Protest ermöglichen.

Mit freundlichen Grüßen,
+name