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Von Ideologie und Manifest

Eins vorweg: Anlass hierfür war ein Artikel von Nina Pauer in der Zeit sowie Christopher Lauers Erwiderung darauf, in der ein Manifest der Piratenpartei gefordert wurde.

Ein Manifest ist zunächst erst einmal „eine öffentliche Erklärung von Zielen und Absichten, oftmals politischer Natur“. So definiert das die Wikipedia. Manifest klingt staatstragend und ist immer eine Formulierung grundlegender Werte, der sich die Gruppe der Verfasser verbunden fühlt. In der Vergangenheit war der Begriff „Manifest“ hauptsächlich sozialistisch oder kommunistisch geprägt, wie etwa beim Manifest der Kommunistischen Partei von 1848, dem Braunschweiger Manifest von 1870 oder dem Prager Manifest 1934.

Zunächst einmal: moderne Parteien geben sich kaum noch ein Manifest. Im oben verlinkten Zeit-Artikel finden sich eher stereotype Verallgemeinerungen von dem, wofür die etablierten Parteien stehen: „CDU steht für Tradition, Die Grünen für Umwelt – und ihr?“.

Da wird schon deutlich: eine wirkliche Auseinandersetzung mit den Inhalten hat nicht zwangsläufig stattgefunden. Schließlich ist ein Parteiprogramm mehr als nur die Kernkompetenz; man könnte Parteien auch ganz anders definieren. Die Werte, die üblicherweise in einem Manifest oder einer vergleichbaren Vereinbarung stehen, werden vielmehr im alltäglichen politischen Handeln deutlich. Eine Zementierung ist nicht unbedingt notwendig – dennoch scheinen die Medien im Moment geradezu eine klare Formulierung zu wollen, in der wir Piraten unsere Werte definieren. Ich persönlich würde ein Manifest auch nicht kategorisch ablehnen, dennoch bin ich der Ansicht, dass die Werte, für die wir stehen, auch ohne eine solche Festschreibung klar sein bzw. werden können.

Womit wir bei der langanhaltenden und niemals aufhörenden Frage nach der Kollektivideologie der Piratenpartei wären.

Die Piraten bezeichnen sich gern als ideologiefrei. Das halte ich für Unsinn.

Eine Partei als ideologiefrei zu definieren, ist per se nicht wirklich hilfreich, soll sie doch eine Gruppe von Menschen mit ähnlichen politischen Interessen und Zielen sein. Das sind – entgegen anderslautenden Medienberichten – die Piraten schon seit ihrer Gründung. Aus dem Aktivistentum heraus entstand ein politischer Mitbewerber, der „den Laden aufmischen“ wollte, mitspielen wollte im politischen Geschäft. Das Experiment, mehr war es anfangs nicht, ist – zumindest bisher – geglückt. Die Piraten unterhalten aktuell in vier Landesparlamenten eine Fraktion, sorgen für frischen Wind in der Politik. Die Frage nach der Ideologie reißt erstaunlicherweise trotzdem nicht ab.  Man sollte doch meinen, auf der politischen Bühne hätten die Piraten inzwischen in ausreichender Weise zeigen können, wofür sie stehen, aber offensichtlich scheinen in der Öffentlichkeit immer noch einige Fragen ungeklärt zu bleiben.

Die Piraten sind nunmal eine Partei, und sie haben gemeinsame Visionen, aus denen heraus sie mehr und mehr Programmpunkte zu abstrahieren versuchen. Diese Visionen – wem das zu esoterisch klingt, kann gerne auch Ziele sagen – basieren auf einem bestimmten Wertesystem (nein, damit meine ich kein konservatives Geschwurbel von „westeuropäischer Kultur in christlich-jüdicher Tradition“) beziehungsweise auf den Grundrechten – nicht umsonst bezeichnen wir uns gern als sozialliberale Grundrechtspartei.

Damit verbunden ist sicherlich auch eine gemeinsame Ideologie, und es hilft meiner Meinung nach nicht, diese zu leugnen. Sie liegt, soweit ich das beurteilen kann, in dem, was Liberalismus ausmacht: Freiheit. (Diesen Grundsatz könnte übrigens auch mal die selbsternannte pseudoliberale Splitterpartei mit dem Namen FDP beherzigen.) Freiheit, das klingt zunächst so groß, so unantastbar, wieder so staatstragend. Was wir Piraten damit verbinden, ist eine Art Meta-Freiheit, also Freiheit, die viele Bereiche umfasst: persönliche Freiheitsrechte, Informationsfreiheit und informationelle Selbstbestimmung, Willens- und Handlungsfreiheit, Meinungsfreiheit, Souveränität – oder, um mit Kant zu sprechen, alle erdenklichen Formen positiver und negativer Freiheit.

In der Praxis bedeutet das, und ich glaube, das muss den meisten Piraten erst noch klar werden, wir sind die derzeit einige wichtige liberale Partei. Wir bekennen uns klar zu diesen Werten, auch wenn wir sie (bisher) nirgendwo aufgeschrieben haben und versuchen, sie in der Realität in nunmehr vier Landesparlamenten durchzusetzen.

Wir müssen allerdings aufpassen: ein klares Bekenntnis zu einer Kollektivideologie birgt auch Gefahren, es stellt immer eine Gratwanderung dar. Schnell kann es zu einer Art „Ideologieverbohrtheit“ kommen, die in Engstirnigkeit und Irrationalität endet. Wie ein solches Schicksal aussehen kann, sehen wir tagtäglich an Beispielen, etwa den Grünen. Sie bezeichnen sich selbst als Umweltschutzpartei, aber transportieren sie wirklich noch dieses Bild nach außen? Wohl kaum, vielmehr werden sie unlängst als Teil des Establishments gesehen, als Politiker, die genauso gut auch in der CDU sein könnten.

Zweites Beispiel: der Bundespräsident. Joachim Gauck hat sicher viel geleistet, vor allem mit seiner Gauck-Behörde. Aber wenn man heutzutage Interviews von ihm sieht, scheint gefühlt jedes dritte Wort „Freiheit“ zu sein. Keine Frage, in der DDR hat Gauck für diese Freiheit gekämpft – aber weiß er noch, was damit gemeint ist? Er hat zu einigen Themen aus freiheitlichen Gesichtspunkten in beunruhigender Weise Stellung bezogen, beispielsweise zur Vorratsdatenspeicherung.

Sich zu einer Ideologie zu bekennen, ist demnach für die Außenwahrnehmung wichtig, um klarzustellen, für welche Werte man einzustehen bereit ist. Ideologie muss danach allerdings gelebt werden, möglicherweise auch daraus resultierende Entscheidungen hinterfragt werden – es geht sozusagen um eine lebendige Ideologie, die dennoch kein Brett vor dem Kopf darstellt.